Urteil: Ab wann greift der Kündigungsschutz schwangerer Auszubildender?
Grundsätzlich gilt ein Kündigungsverbot gegenüber schwangeren Arbeitnehmerinnen. Doch es gibt auch Ausnahmen. Ob ein Ausbildungsvertrag auch schon vor Beginn der Ausbildung und trotz Schwangerschaft der neuen Auszubildenden gekündigt werden darf, entschied das Bundesarbeitsgericht.

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden ist (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG). Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob dieses Kündigungsverbot auch greift, wenn die Beschäftigung noch nicht aufgenommen worden ist. In dem fraglichen Fall wurde bei einer Beschäftigten eine Schwangerschaft festgestellt, nachdem diese den Arbeitsvertrag mit ihrem Arbeitgeber unterzeichnet, aber ihre Beschäftigung noch nicht aufgenommen hatte. Aufgrund einer chronischen Vorerkrankung wurde mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Dies teilte sie ihrem künftigen Arbeitgeber mit, woraufhin sie eine Kündigung erhielt.
Diese war nichtig, so das BAG in seinem Urteil vom 27.02.2020 – 2 AZR 498/19.
§ 17 Abs. 1 MuSchG regelt ein gesetzliches Verbot i. S. v. § 134 BGB. Eine Kündigung unter Verstoß gegen dieses Verbot ist nach dieser Vorschrift nichtig (BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 234/14). Diese Rechtsfolge greift nach Auffassung des BAG auch für Kündigungen vor der eigentlichen Aufnahme der Beschäftigung. Dies leitet das BAG aus dem Normzweck des Kündigungsverbotes nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab. Danach ist die Bekanntgabe einer bestehenden Schwangerschaft nach Abschluss des Arbeitsvertrages ausreichend. Die Aufnahme der vereinbarten Tätigkeit ist nicht erforderlich.
Damit hat das BAG die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Streitfrage, ob das Kündigungsverbot des § 17 MuSchG auch bereits vor Aufnahme der Beschäftigung greift, in Gleichklang mit einer älteren Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (Urteil vom 30.09.1992 – 11 Sa 1049/92) entschieden. Auch dieses hatte judiziert, dass für das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot der Abschluss des Arbeitsvertrages ausreichend und eine Aufnahme der Tätigkeit nicht erforderlich ist.
Dieses Urteil ist entsprechend auch auf Auszubildende zu übertragen, die einen Ausbildungsvertrag schließen und vor Ausbildungsbeginn schwanger werden. Denn gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 MuSchG unterfallen auch „Frauen in betrieblicher Berufsbildung“ dem Schutzbereich dieses Gesetzes.
Ausnahme
Gemäß § 17 Abs. 2 MuSchG ist in „besonderen Fällen“ eine Kündigung schwangerer Frauen mit Genehmigung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde möglich. Dies wäre z. B. der Fall, wenn die Auszubildende sich so verhält, dass ein wichtiger Grund für eine Kündigung ohne Einhalten einer Kündigungsfrist nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG gegeben ist.
Fazit
Für Ausbildungsbetriebe bedeutet dies, dass eine Kündigung aussichtslos ist, wenn eine Auszubildende nach Vertragsschluss, aber vor Ausbildungsbeginn schwanger wird und dies spätestens zwei Wochen nach Erhalt der Kündigung mitteilt. Dies gilt sowohl für eine Kündigung vor Ausbildungsbeginn als auch während der Probezeit.
Autorin: Dr. Carmen Hergenröder ist Rechtsanwältin, Referentin von Seminaren zum Berufsbildungs-, Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht sowie Rechtsberaterin einer zahnärztlichen Schlichtungsstelle für Ausbildungsstreitigkeiten. Seit Jahren schreibt sie für verschiedene juristische Verlage.
Quelle: wirAusbilder 6/2020
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