Kulturelle Kompetenz für Ausbilder von Flüchtlingen
Um in Deutschland zurechtzukommen, müssen Flüchtlinge mehr als nur die deutsche Sprache lernen. Vor allem, wenn sie eine Ausbildung beginnen, werden sie mit unterschiedlichen Besonderheiten der deutschen (Unternehmens-)Kultur konfrontiert. Nicht selten kommt es dann zwischen Ausbilder und Azubi zu Missverständnissen.
Hintergrund von unerwünschten Verhaltensweisen verstehen
Warum sieht mein Azubi mich nicht an, wenn ich mit ihm rede? Warum will er der Kollegin nicht die Hand geben? Ausbilder, die den Hintergrund für zunächst unerwünschte Verhaltensweisen verstehen, können besser an der Verständigung arbeiten. Der Erwerb von kultureller Kompetenz ist Pflicht, wenn Auszubildende nicht nur aus einem anderen Sprach-, sondern auch aus einem komplett anderen Kulturkreis kommen.
Ein offener Blick, ein offenes Wort – nicht überall erwünscht
So gilt es im arabischen Raum als Respektlosigkeit, dem Chef direkt in die Augen zu schauen. Hierzulande gehört der Blickkontakt zu einer normalen Diskussionskultur zwischen Mitarbeitern, auch mit hierarchisch höhergestellten Kollegen. Apropos Diskussionskultur: Auch hier gibt es gravierende Unterschiede zwischen dem deutschen und anderen Kulturkreisen.
Diskussion = Streit?
So wünscht man sich in Deutschland eine möglichst offene und direkte Kommunikation, auch zwischen Azubi und Ausbilder. Nur so können Ausbilder rechtzeitig erkennen, ob es Verständnis- oder andere Probleme gibt und gegensteuern. In anderen Kulturkreisen wirkt es aber verstörend, wenn offen über etwas diskutiert wird. Kritik wird dort nur möglichst verhaltend geäußert, eine lebhafte Diskussion kommt schnell wie ein Streit zwischen den Beteiligten an.
Trennung von Sach- und persönlicher Ebene erklären
Hier müssen Sie vermitteln, dass persönliche und sachliche Ebene im Unternehmen strikt getrennt sind. Kritik bedeutet keine persönliche Abwertung, sondern vermittelt, dass ein Problem gelöst werden soll. Machen Sie sich bewusst, dass in anderen Kulturen nicht alles verbalisiert, sondern auch nonverbal über Gesten oder Mimik ausgedrückt wird. In der Folge wird in Gesagtes auch viel hineininterpretiert, während in Deutschland gilt: Was nicht ausgesprochen wurde, hat auch keine Bedeutung (zumindest im Arbeitsleben).
Respektlos…oder das Gegenteil?
Die Weigerung, einer Kollegin die Hand zu geben, drückt mitnichten mangelnden Respekt aus, eher das Gegenteil: Eine Berührung der Hand wäre respektlos gegenüber der Frau und ist in einigen Kulturkreisen deshalb nicht üblich. Auch als “Lerner” verhalten sich Azubis z. B. aus arabischen Ländern anders als die deutschen Kollegen – sie sehen ihre Rolle eher passiv, sind Frontalunterricht ohne Nachfragen gewohnt. Von ihren Ausbildern erwarten sie häufig eine Art “Vaterrolle”, also auch Unterstützung in privaten Dingen.
Hinterfragen erwünscht!
Unterschiedliche Lernmethoden können Ihnen als Ausbilder helfen, mit diesen Unterschieden umzugehen. Arbeiten Sie viel mit Grafiken und Bildern und beziehen Sie praktische Übungen in den Berufsalltag ein. Arbeiten Sie mit Fallbeispielen und lassen die Azubis anhand von konkreten Situationen eine Bewertung sowie eine Diskussion durchführen. Auch der feste Händedruck und dabei Blickkontakt aufnehmen kann hierbei geübt werden.
Kritik angenehm verpacken
Verdeutlichen Sie, dass die Trennung von Arbeit und Privatleben in deutschen Unternehmen üblich ist. Äußern Sie Kritik in einer “angenehmen” Verpackung und möglichst nie vor anderen Personen. Auch “Eigenheiten” wie die deutsche Pünktlichkeit müssen häufig erst vermittelt werden – acht Uhr bedeutet, genau um acht Uhr im Betrieb zu erscheinen. Viele Erklärungen und Gespräche gehören zu den interkulturellen Kompetenzen auf jeden Fall dazu.
Quelle: “Punkt acht ist Punkt acht”, von Vincent Hochhausen. In: Bildungspraxis, Heft 03/2017, S. 28-29.