Diese Vorteile bringen agile Ausbildungsmethoden
Die DATEV eG setzt in der Ausbildungsarbeit agile Ausbildungsmethoden für die angehenden Fachinformatiker ein. Der Lerncoach und ehemalige Ausbilder Harald Eder berichtet, mit welcher Dynamik er jungen Menschen einen gelungenen Start in das Berufsleben ermöglicht und was die Vorteile sind.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, agil auszubilden?
Noch vor wenigen Jahren sah unser Ausbildungskonzept vor, den IT-Azubis in zwei- bis dreiwöchigen internen Schulungen Inhalte ergänzend zum Berufsschulunterricht zu vermitteln. Da unser Anteil an IT-Azubis stetig zunimmt, war eine Modifizierung des bisherigen Schulungskonzeptes notwendig, um unsere Inhalte erfolgreich zu vermitteln. Als Scrum Master war ich bereits mit der agilen Arbeitsweise sehr gut vertraut und so analysierten mein Kollege und ich die zentralen Handlungsfelder des bisherigen Schulungskonzeptes. Das Ergebnis ist nun ein agiles Vorgehen bzw. agile Ausbildungsmethoden: In jeweils zweitägigen Workshops setzen wir wichtige Impulse zu unterschiedlichen Themenfeldern und im Anschluss nehmen unsere Azubis das Gelernte mit in den Fachbereich und können die Theorie direkt in der Praxis umsetzen und nachwirken lassen.
Für die Azubis waren agile Ausbildungsmethoden neu – wie haben sie reagiert?
Da sie es aus ihrem bisherigen Schul-Alltag anders gewohnt waren, waren sie am Anfang verwundert, wenn nicht sogar schockiert, wenn ich gesagt habe: „Bereitet das in den nächsten zwei Stunden vor. Ich bin dann mal weg!“ Dieser Freiraum und der verhältnismäßig flexible Rahmen sorgten am Anfang für ein wenig Unsicherheit. Aber die meisten haben es positiv angenommen, weil sie gemerkt haben: „Ich kann in meinem Tempo und auf meine Weise meine Themen erarbeiten.“ Natürlich hatten wir den einen oder anderen Azubi, der versucht hat, eine „faule Nummer“ daraus zu machen. Aber das fiel schnell auf, vor allem in den kleinen Teams, in welchen wir arbeiten. Die Azubis haben das selbst geregelt, denn als Teil des Teams muss jeder mitarbeiten.
In der Feedback-Runde jeweils am Ende der zwei Tage wird das Zwei-Tages-Modul reflektiert und mögliche Verbesserungen diskutiert. So äußerten die Auszubildenden beispielsweise den Wunsch, dass ich greifbarer und als Ansprechpartner vor Ort bin. Dementsprechend verlagerte ich meinen mobilen Arbeitsplatz (Laptop) in unseren Schulungsraum, habe aber zwei Metaplan-Wände vor mich gestellt. Damit war ich schnell verfügbar, ohne durch meine Anwesenheit „Druck“ zu erzeugen.
Die Erfahrung des selbstorganisierten Arbeitens war elementar wichtig. Von Modul zu Modul wurde es immer besser, denn die Azubis haben verstanden, dass ich ihnen als ihr Ausbilder auf diese Weise Wertschätzung und Vertrauen schenke. Diese Arbeitsweise ermöglicht eine individuelle Weiterbildung.
Sie waren bezüglich neuer Ausbildungsmethoden offen, haben die Azubis gefragt und sich auf YouTube umgeschaut. Das sind relativ neue Ansätze.
Genau. Wir haben einen Arbeitsspeicher aus LEGO-Steinen nachgebaut, auf YouTube einen ungarischen Volkstanz entdeckt, der zeigt, wie man einen Sortier-Algorithmus darstellt und die Auszubildenden höherer Lehrjahre aufgefordert, ihre Expertise, Erfahrung und Kreativität einzubringen.
Wollen Sie agile Ausbildungsmethoden auch auf andere Ausbildungsberufe übertragen?
Ja. Wir versuchen, zumindest ein paar übergreifende Module des Konzepts über alle Berufsbilder hinweg zu vermitteln. Dazu gehört z. B. die grundsätzliche Funktionsweise des agilen Vorgehens. So wird dieser Spirit oder dieses Mindset über alle Ausbildungsberufe hinweg etabliert. Weitere Methoden, z. B. Design-Thinking, probieren wir einmal im Jahr mit Azubis aus allen Fachrichtungen aus. In naher Zukunft ist ein Azubi-Barcamp angedacht. Hier dürfen unsere Auszubildenden selbst in die Referenten-Rolle schlüpfen.
Wie reagieren ältere Kolleg:innen auf Ihre Ausbildungsmethoden?
Positiv! Denn früher waren die Azubis zwei bis drei Wochen wie in einer Black Box im Schulungszentrum: Keiner der Kollegen oder Mitarbeiter wusste, was dort genau passiert. Jetzt werden die Schulungsinhalte transparent und frei zugänglich im Intranet und auf diversen Veranstaltungen (intern und extern) kommuniziert. wurde sehr schnell bemerkt, dass mit den Azubis etwas anderes „passiert“. Insgesamt werden die Azubis nun als „mündiger“ bezeichnet. Bestes Beispiel: Vor Kurzem haben zwei Azubis aus dem zweiten Lehrjahr – also mit nicht mal einem Jahr Berufserfahrung – eine Präsentation über das Schulungskonzept vor fast 100 Leuten gehalten. Die Kollegen meinten danach, dass sie noch nicht erlebt hätten, dass sich ein Azubi mal eben hinstellt und vor so vielen Mitarbeitern sehr souverän erzählt, wie er den Einstieg in die Programmierung im Rahmen des Schulungskonzepts erlebt hat.
Was sind die Vorteile dieser agilen Ausbildungsmethode?
Die zentralen Faktoren sind Mitgestaltung, Wertschätzung und Feedback.
Ein Auszubildender merkt bereits während er lernt, dass er sehr viel mitgestalten kann und erfährt dadurch Wertschätzung. Als Ausbilder erhalte ich von meiner Azubi-Gruppe direktes Feedback. Es ist schön zu sehen, dass sie den Mehrwert erkennen und aktiv mitgestalten. Und die Azubis haben Spaß an der selbstorganisierten Gruppenarbeit und den interaktiven Spielen.
Die DATEV setzt in der gesamten Organisation zunehmend auf agile Prinzipien. Durch unser Ausbildungskonzept lernen die Azubis agiles Arbeiten nicht nur in der Theorie kennen, sondern sie erleben es live. Im Rahmen der Schulungsreihe haben sie viele Sprints, Retrospektiven und Plannings aktiv mitgestaltet. Auch das Thema Reflexion und Feedback ist ihnen dadurch vertraut. Auf diese Weise lernen und verinnerlichen sie, richtiges und konstruktives Feedback zu geben.
Vielen Dank für dieses Interview! :-)
Harald Eder ist Fachinformatiker Softwareentwickler, Scrum Master und Lerncoach. Er betreute als Ausbilder ca. 40 Azubis und war verantwortlich für das IT-Schulungskonzept.
www.datev.de/ausbildung
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Lesetipp:
Lesen Sie auch unsere Blog-Artikel Lernkultur im Unternehmen verankern und weitere Blogartikel rund um die verschiedenen Ausbildungsmethoden und -möglichkeiten:
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Methoden in der Ausbildung: Gruppenarbeit
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