Entwicklung der Ausbildungsreife
Sind die jungen Menschen für eine Ausbildung nicht mehr reif genug oder sind die Ausbildungsberufe zu anspruchsvoll geworden? Schulleiter Hartwig Hils von der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule in Tuttlingen wurde hierzu von der Schwäbischen Zeitung befragt.
Diese Eigenschaften kennzeichnen die Ausbildungsreife
Hils glaubt nicht, dass die Schüler immer schlechter geworden sind. Er hat aber festgestellt, dass die Ausbildungsreife bei einigen Schülern Defizite aufweist. Andere Schüler wiederum sind sehr leistungsfähig. Die Lücke zwischen diesen beiden Schülertypen ist größer geworden. Als zentrale Eigenschaften für die Ausbildungsreife verweist er auf eine Umfrage des Berufsbildungsinstitutes. Mehr als die Hälfte der Ausbilder wünschen sich zuverlässige, lern- und leistungsbereite, verantwortungsbewusste, konzentrierte Jugendliche. Auch Durchhaltevermögen, Grundrechenarten, Sorgfalt, Rücksicht, Toleranz, Selbstkritik, Konflikt- und Anpassungsfähigkeit sind gefragt. Natürlich sollte sich der Nachwuchs auch in die Hierarchien des Unternehmens einfinden.
Grundstein für die Ausbildungsreife
Kann man denn bei Jugendlichen hier noch einwirken, wenn es Defizite gibt? Hils erklärt, dass der Grundstein durch die Eltern, den Kindergarten und die Grundschule gelegt wird. Wenn ein Kind im Grundschulalter in der Lage ist, 30 Minuten ein erlerntes Instrument zu spielen oder ein Bilderbuch bis zum Ende anzusehen, dann ist das für die Konzentrationsfähigkeit in der Ausbildung eine gute Basis. Er hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Familien in dieser Hinsicht nur wenig einwirken. Die Zahl von Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten ist angestiegen. Hier muss die Bildungspolitik mit Ganztageskonzepten, individueller Förderung und Coaching möglichst früh zum Tragen kommen.
Ablenkung durch neue Medien
Hils betont aber auch, dass die Anforderungen in vielen Ausbildungsberufen gestiegen sind. Es wird immer schwerer, die schnell wachsende Menge der Informationen zu bewerten. Was ist neu, was ist anders, was ist wichtig, was weniger? Dazu kommt die Ablenkung durch die Medien – insbesondere auf männliche Jugendliche scheint das Internet einen großen Reiz auszuüben. In Hils Gymnasium sieht das Ganztageskonzept deshalb eine Betreuung mit wenig bis gar keinem Internetzugang vor, um die Konzentration auf die Lerninhalte zu stärken.
Zusätzliches Lehrpersonal unterstützt schwächere Schüler
Die weiterführenden Schulen müssen Jugendliche zusätzlich unterstützen, um die Ausbildungsreife zu fördern und die Schere zwischen starken und schwachen Schülern nicht noch größer werden zu lassen. Die Ferdinand-von-Steinbeis-Schule beschäftigt zu diesem Zweck zwei Schulsozialarbeiter bzw. Jugendberufshelfer, zwei Beratungslehrer sowie einen Verbindungslehrer. Ein Sonderschullehrer arbeitet diagnostisch und kann die Schüler individuell fördern, damit sie ihren Abschluss schaffen oder ein Ausbildungsabbruch verhindert wird. Bei Auffälligkeiten werden die Schüler mit ihren Eltern zum Gespräch eingeladen – hier wird, entgegen der Erwartung der Schüler, nicht nur über ihre Schwächen, sondern auch über die Stärken gesprochen. Das führt oft zu positiven Veränderungen und damit weniger Abbrüchen.
Lehrer und Ausbilder mit zusätzlichem Erziehungsauftrag
Als größte Veränderung bei den Ausbildungsbetrieben nimmt Hils die gewachsene Konkurrenz und die große Professionalisierung wahr. Es gebe ein sehr hohes Niveau und ähnlich wie bei den Lehrern sind die Ausbilder mittlerweile Wissensvermittler mit einem zusätzlichen Erziehungsauftrag. In vielen Unternehmen gehe man individuell auf schwächere Azubis ein und fördert diese. Nicht selten erlebe er als Lehrer gemeinsam mit den Ausbildern, das es gerade im Verlauf der Ausbildungszeit bei einigen Berufsschülern im Kopf “Klick” macht und damit eine Wende zum Positiven herbeigeführt wird.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 08.05.2017