Noch weniger loyal zum Arbeitgeber als zur Turnschuhmarke?
Was ist dran an der mangelnden Bindungsbereitschaft heutiger Azubis? Der neue Qualitätsreport der Ausbildungsexperten von AUBI-plus kommt zu überraschenden Ergebnissen.
Christian Scholz, ehemaliger Hochschullehrer für Personalmanagement und Verfasser der Trendstudie Generation Z, prognostizierte vor einigen Jahren in einer österreichischen Tageszeitung, dass die künftigen Teenager zu ihrem Arbeitgeber „noch weniger Loyalität als zu ihrer Turnschuhmarke“ aufbauen werden. Hat er Recht behalten? Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Doch die Generation Z ist mittlerweile in der Arbeitswelt angekommen. Die ersten Z’ler haben ihre Ausbildung abgeschlossen. Aber noch fehlen verlässliche Studien, die das vorhergesagte flatterhafte Bindungsverhalten der heutigen Jugendlichen empirisch belegen könnten.
Einschätzungen lieferte der Qualitätsreport „Ausbildung 2019“ von AUBI-plus. Seit 2014 führt der Ausbildungsspezialist Evaluationen der betrieblichen Ausbildung für das Gütesiegel BEST PLACE TO LEARN® durch. Ein Fokus liegt unter anderem auf den Fragen, ob und wie stark sich die Azubis mit ihrem Unternehmen verbunden fühlen und ihre berufliche Zukunft in ihrem Ausbildungsbetrieb sehen. Grundlage zur Bewertung dieser Fragen lieferten die Antworten von 2.580 Auszubildenden des zweiten, dritten und vierten Ausbildungsjahres aus Industrie, Handel und Dienstleistung.
Was bedeutet Bindung?
Mit Bindung ist organisationspsychologisch nicht nur der Verbleib im Unternehmen nach der Ausbildung gemeint. Denn der Verbleib sagt noch sehr wenig über die Identifikation mit dem Arbeitgeber und über die tatsächliche emotionale Verbundenheit mit dem Unternehmen aus. Doch auf diese emotionale Verbundenheit kommt es an, wenn Unternehmen Mitarbeiter langfristig binden wollen. In der Commitment-Forschung, die sich mit den Rahmenbedingungen von Bindung, Identifikation und Engagement im betrieblichen Kontext beschäftigt, liefert das sogenannte Triple-SKonzept einen Ansatz, um die Bindungsstärke von Beschäftigten besser beurteilen zu können. In der Zertifizierung zum BEST PLACE TO LEARN® wird dieser Ansatz aufgegriffen und auf die Situation von Auszubildenden übertragen.
Die drei „S“ des Commitments und die zugehörigen Aussagen stehen für:
SAY: Stolz auf das Unternehmen und die Bereitschaft, sich positiv über den Ausbildungsbetrieb in der Öffentlichkeit zu äußern.
Aussagen:
- „Ich bin stolz auf das, was wir in unserem Betrieb gemeinsam leisten.“
- „Ich erzähle anderen gerne von meinem Unternehmen.“
STAY: Wunsch, nach der Ausbildung unbedingt übernommen zu werden.
Aussagen:
- „Ich möchte auch in Zukunft in meinem Betrieb bleiben, auch wenn ich die Möglichkeit habe, woanders hin zu wechseln.“
- „Die Zukunft meines Betriebs liegt mir sehr am Herzen.“
SERVE: Hohe Einsatzbereitschaft für das Unternehmen.
Aussage:
- „Ich bin bereit, zusätzlichen Einsatz zu leisten, um die Arbeit zu erledigen.“
Sinnvoll ist die Bewertung von Bindungsstärke nur dann, wenn die Absolventen nach Abschluss der Ausbildung auch in ihrem Beruf arbeiten möchten. Kurz: Es geht beim Thema Bindung von Azubis auch immer um die Frage der richtigen Berufswahl und der Identifikation mit dem erlernten Beruf. Auch hierzu wird von den Auszubildenden ein Feedback eingeholt. Die zu bewertende Aussage lautet: „Ich möchte auch in Zukunft in meinem Beruf arbeiten“.
Loyalitätsdefizite – ein Ergebnis falscher Berufswahl?
Um die Frage nach der richtigen Berufswahl vorab zu beantworten: Die Mehrheit der Azubis möchte auch nach der Ausbildung im erlernten Beruf tätig sein. Gleichwohl haben viele offenbar Zweifel, ob der eingeschlagene berufliche Weg tatsächlich der richtige ist. Beinahe jeder Vierte (23,1 %) kann kein oder kein eindeutiges Votum für den Verbleib im Beruf abgeben. Hinter diesem Antwortverhalten kann sich sowohl die Unzufriedenheit mit dem Beruf, aber auch der Wunsch nach Höherqualifizierung und Anschluss eines Studiums verbergen.
Dieses Ergebnis korrespondiert mit der Frage nach dem Übernahmewunsch nach der Ausbildung. Hier sind es sogar 30 % der Befragten, die nach der Ausbildung nicht im Unternehmen bleiben möchten (13,3 %) oder diese Frage noch nicht für sich entschieden haben (16,7 %).
Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, weil alle anderen Bindungsindikatoren deutlich positiver und eindeutiger von den befragten Azubis bewertet wurden. So werden die Kriterien „Stolz auf das gemeinsam Geleistete“ und die „Positive Darstellung des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit“ überaus hoch bewertet. Ebenso das Kriterium „Einsatzbereitschaft“. Kurz: Die Azubis verhalten sich durchaus loyal zu ihrem Arbeitgeber. Aber sie sind augenscheinlich nicht mit ihm „verheiratet“.
Macht Gelegenheit Diebe?
Wenn auch die aktiv Wechselwilligen und passiv Suchenden ihren Arbeitgeber attraktiv finden und sich mit ihm identifizieren, was befeuert dann den Wunsch nach Veränderung? Einen Hinweis liefern die Freitext-Antworten in den Befragungen. Demnach tun sich manche Unternehmen überaus schwer damit, ihren Azubis rechtzeitig ein konkretes Übernahmeangebot zu unterbreiten. Auch wird immer wieder bemängelt, dass trotz Übernahmeangebot nicht klar ist, wo sie im Anschluss der Ausbildung eingesetzt werden sollen. Als Grund hierfür werden immer wieder organisatorische Probleme und zähflüssige interne Entscheidungsprozesse genannt. Da den jungen Menschen der Generation Z auch ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis nachgesagt wird, verwundert es vielleicht nicht, dass sich die Azubis vom eigenen Unternehmen abwenden und nach Alternativen Ausschau halten.
Im Übrigen drückt dieses Verhalten der Unternehmen nicht unbedingt Wertschätzung gegenüber ihren Auszubildenden aus. Und dann ist da noch der leergefegte Arbeitsmarkt. Dass ein attraktives Stellenangebot einen Wechselimpuls auslösen kann – wen wundert’s? Experten zufolge wird die Wechselbereitschaft aller Beschäftigten und damit die Fluktuationsrate in den Unternehmen weiter steigen. Wenn dem so ist, dann ist die These von der mangelnden Loyalität der Generation Z in Zweifel zu ziehen. Denn die Kontrollgruppe – alle anderen Beschäftigten – zeigt ebenso wie die jungen Menschen eine nachlassende Verbundenheit mit ihrem Arbeitgeber, wie aktuelle Untersuchungen zeigen. Also spricht vieles dafür, dass insbesondere bessere und gestiegene Chancen am Arbeitsmarkt und weniger generationsspezifische Besonderheiten die Bindung an den Arbeitgeber bestimmen.
Fazit
Die Kräfteverhältnisse am Arbeitsmarkt haben sich verschoben. Immer öfter entscheiden die Auszubildenden selbst, wo sie nach ihrer Ausbildung arbeiten werden. Das gilt insbesondere für die leistungsstarken Azubis, zu deren Gunsten sich der Arbeitsmarkt mehr und mehr entwickelt. Betriebe, die ausbilden, investieren in die Zukunft des eigenen Unternehmens. Umso ärgerlicher, wenn der qualifizierte Nachwuchs nach der Ausbildung zu den Mitbewerbern wechselt. Darum: Die Bindung von talentierten Nachwuchskräften beginnt heute nicht am Ende der Ausbildung, sondern von Anfang an.
Quelle: D. Piening, D. Sicking, in: wirAUSBILDER Magazin, 1 2019, S. 6-8.