Urteil: Zählt ein Praktikum zur Probezeit?
Ein vor Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses absolviertes Praktikum ist nicht auf die Probezeit anzurechnen. Rechtsanwältin Dr. Carmen Hergenröder kommentiert eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.
Zählt ein Praktikum zur Probezeit?
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 19.11.2015 – 6 AZR 844/14) hat den folgenden Fall entschieden:
Vor Beginn seiner Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel hatte ein Auszubildender ein Praktikum im selben Unternehmen absolviert. Für das Ausbildungsverhältnis wurde eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Der Ausbildungsbetrieb kündigte das Ausbildungsverhältnis kurz vor Ende der Probezeit. Hiergegen wehrte sich der Auszubildende mit der Begründung, dass die Probezeit bereits abgelaufen sei, weil das Praktikum auf die Probezeit angerechnet werden müsse. Das Unternehmen habe sich bereits während des Praktikums ein vollständiges Bild über ihn machen können.
Nachdem die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, legte der Auszubildende Revision ein. Der Sechste Senat des BAG entschied nun, dass das Praktikum nicht auf die Probezeit anzurechnen sei und begründete seine Entscheidung mit den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes.
Die Vorschrift des § 20 Satz 1 BBiG, wonach ein Berufsausbildungsverhältnis mit einer Probezeit beginnen muss, sei zwingend einzuhalten. Die Probezeit von ein bis vier Monaten (§ 20 Satz 2 BBiG) könne auch dann vereinbart werden, wenn dem Ausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis vorausgegangen ist. Innerhalb der Probezeit sollten die Parteien ausreichend Gelegenheit haben, die für die Ausbildung im konkreten Ausbil dungsberuf wesentlichen Umstände vollumfänglich zu prüfen: Der Ausbildungsbetrieb kann abwägen, ob sich der Auszubildende für den zu erlernenden Ausbildungsberuf eignet und sich in den Betrieb einfügen wird. Auszubildende ihrerseits sollen die Möglichkeit erhalten, ihre körperliche und geistige Eignung für den zu erlernenden Beruf festzustellen (siehe auch BAG, Urteil vom 16.12.2004 – 6 AZR 127/04). Dies sei nur im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses möglich.
Somit spielen Inhalt und Zielsetzung des Praktikums für die Probezeit einer Berufsausbildung keine Rolle. Deshalb entschied das Bundesarbeitsgericht, dass das Unternehmen gemäß § 22 Abs. 1 BBiG das Berufsausbildungsverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist noch während der Probezeit kündigen konnte.
Diese Entscheidung bestätigt, dass Praktika auch weiterhin ohne Bedenken angeboten werden können. Nutzen Sie Praktika, um die Schulabgänger kennenzulernen und setzen Sie die Probezeit der eigentlichen Ausbildung als das ein, wofür sie geschaffen worden ist: nämlich als eine Erprobungsphase mit der erleichterten Möglichkeit der Beendigung, sofern sich die Absolvierung der Ausbildung als nicht erfolgversprechend erweist – ohne Nachteile.
Tipp für Ausbildungsbetriebe
Wird die Probezeit – gleich aus welchem Grunde – unterbrochen, verlängert sie sich nicht automatisch. Die Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses können, wenn eine Unterbrechung von rund einem Monat eingetreten ist, die Probezeit jedoch einvernehmlich um den ausgefallenen Zeitraum verlängern, selbst wenn dadurch die höchstzulässige Probezeit überschritten wird (BAG, Urteil vom 15.1.1981- 2 AZR 943/78). Auch von dieser Möglichkeit sollten die Ausbildungsbetriebe Gebrauch machen. Nehmen Sie einen entsprechenden Passus in den Berufsausbildungsvertrag auf!
Autorin: Dr. Carmen Hergenröder, Rechtsanwältin
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