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Flüchtlinge als Azubis ins Unternehmen integrieren

Flüchtlinge als Azubis
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Es ist eine Erfolgsgeschichte: 2016 hat das Unternehmen Kaeser Kompressoren SE in Coburg 21 junge Flüchtlinge als Auszubildende eingestellt – im Sommer 2018 haben fast alle ihren Abschluss gemacht, und die meisten von ihnen im Anschluss einen Arbeitsplatz im Unternehmen bekommen. Wie hat Kaeser das geschafft? Ausbildungsleiter Rüdiger Hopf über Erwartungen, Fallstricke und eine alte Jugendherberge.

Pünktlichkeit? Sprachkenntnisse? Gebetszeiten? Rüdiger Hopf hatte sich von Anfang an gedacht, dass es nicht immer einfach werden würde – und deshalb vorgebaut. „Wir wussten: Wenn wir junge Flüchtlinge als Azubis wollen, müssen wir zuerst unsere eigenen Führungskräfte und Ausbilder mit ins Boot holen und darauf vorbereiten“, sagt der Ausbildungsleiter von Kaeser rückblickend. „Wir wollten, dass alle Verständnis für und Wissen über die Kulturen haben, aus denen die jungen Menschen kommen.“ Und so hat er damals ein Seminar zur interkulturellen Kommunikation organisiert: „Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass bis jetzt alles so gut geklappt hat.“

Motiv: Integration

Die ersten Erfahrungen mit Flüchtlingen in der Ausbildung hatte man bei Kaeser bereits 2015 gemacht – damals konnten zwei junge Männer aus Afghanistan und dem Iran, die bereits seit einigen Jahren in Deutschland lebten, im regulären Auswahlverfahren überzeugen. Ein Jahr später dann, auf der Höhe der Flüchtlingswelle, beschloss das Familienunternehmen, gezielt Flüchtlinge auszubilden. „Wir sind uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, und dazu gehört für uns, dass wir zur Integration der Flüchtlinge beitragen möchten“, erklärt Rüdiger Hopf. „Sehr wichtig dafür ist die Ausbildung: Ohne Ausbildung findet man hier in Deutschland kaum eine gute Arbeit, mit der man auf Dauer zufrieden ist und genügend Geld verdient. Zugleich haben wir es auch als Möglichkeit gesehen, dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzutreten.“ Und so wurden 2016 bei Kaeser 21 neue Ausbildungsplätze für Flüchtlinge geschaffen – zusätzlich zu den jährlich 77 Stellen für regionale und 14 Stellen für Azubis aus dem europäischen Ausland. Außerdem hat man eigens zwei neue Ausbilder eingestellt, um die Betreuung zu gewährleisten.

Ansprechpartner

Allerdings war es zunächst schwieriger als gedacht, überhaupt geeignete Interessenten aus den Kreisen der Flüchtlinge zu finden, erinnert sich Hopf. „Wir dachten, wir telefonieren etwas herum – doch dann haben wir von der Ausbildungsabteilung gestaunt, wie viele Stellen wir kontaktieren mussten. Wir hatten Kontakt zur Politik, zur Stadt Coburg, zum Landkreis, zu Schulen, zu ehrenamtlichen Helfern, Pflegeeltern, Bildungsträgern.“ Die einen schlugen Bewerber vor, die überhaupt kein Deutsch konnten, andere solche ohne Bleibeperspektive. Heute weiß der Ausbildungsleiter: „Am effektivsten für Unternehmen, die Flüchtlinge ausbilden möchten, ist eine Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit und mit der regionalen IHK. Außerdem kann man in Integrationsklassen in Mittelschulen und Berufsschulen nachfragen, ob es dort Interessenten gibt.“

Deutschkenntnisse

Daran, dass die jungen Menschen bereits gewisse Deutschkenntnisse mitbringen, führe kein Weg vorbei, meint der Ausbildungsleiter: „Die Azubis müssen ja ganz normal zur Berufsschule gehen und dort auch Prüfungen in deutscher Sprache absolvieren. Sie bekommen keinen sprachlichen oder zeitlichen Bonus.“ Bei Kaeser ist deshalb das Sprachlevel B1 Mindestvoraussetzung für einen Ausbildungsplatz. Das bedeutet laut Definition, dass jemand die „Hauptpunkte versteht, wenn klare Standardsprache verwendet wird“. Auch während der Ausbildung geht bei dem Coburger Unternehmen das Deutsch-Lernen weiter, für die ausländischen Azubis werden extra ein wöchentlicher Deutschkurs und zudem ein Fachsprachenkurs organisiert. „Aufgrund unserer Größe machen wir das bei uns intern. Es gibt aber für kleinere Unternehmen auch die Möglichkeit, etwa bei der IHK nach solchen Kursen zu fragen.“

Aufenthaltsstatus und Arbeitsgenehmigung

Auch Aufenthaltsstatus und Arbeitsgenehmigung sind entscheidend bei der Auswahl der künftigen Azubis: „Darf jemand überhaupt bei uns arbeiten oder ein Praktikum machen? Das sollte man immer individuell mit der zuständigen Behörde klären“, rät Rüdiger Hopf. Die Angaben dazu stehen zwar in den Papieren, doch manchmal ist ein Fall kompliziert. „Vor allem wenn keine Arbeitsgenehmigung eingetragen ist, müssen wir einen Antrag stellen, dass der Bewerber ein Praktikum und dann eine Ausbildung machen darf.“ Häufig ist die Aufenthaltsgenehmigung von Flüchtlingen befristet – das ist für Kaeser kein Ausschlusskriterium, muss aber beachtet werden. „Es ist wichtig, die Verlängerung rechtzeitig zu beantragen – daran erinnern wir die jungen Leute regelmäßig, weil nicht alle selbst daran denken.“ Denn rechtlich gesehen verhindert allein die Tatsache, dass jemand eine Ausbildung macht, nicht die Ausweisung und Abschiebung.

Ausbildungs-Vorbereitung

Nachdem Kaeser schließlich potenzielle Azubis gefunden hatte, galt es herauszufinden, wer überhaupt für welche Ausbildung geeignet ist. Manche Flüchtlinge geben zwar in ihrem Lebenslauf frühere Berufe und Schullaufbahnen an, doch diese sind meist weder mit denen aus Deutschland vergleichbar noch nachprüfbar – in den meisten Herkunftsländern existiert so etwas wie eine Ausbildung nicht, geschweige denn eine duale Ausbildung. Andererseits haben die Flüchtlinge in der Regel noch weniger als deutsche Azubis eine Vorstellung davon, was sie in einem bestimmten Beruf erwartet. Deshalb hat Kaeser damals begonnen, eng mit „IdA“ zusammenzuarbeiten, dem bayerischen Projekt „Integration durch Ausbildung und Arbeit“. Dort testen Experten die Bewerber u. a. auf ihre Interessen und tatsächliche Kompetenzen und bieten zudem eine mehrmonatige Vorbereitungsmaßnahme mit Sprachkursen und Berufstrainings an.

Praktikum

So hat es schließlich mehrere Monate gedauert, bis die ersten Flüchtlinge bei Kaeser anfangen konnten, und zwar erst einmal als Praktikanten. „Bei uns ist ein mehrwöchiges Praktikum Pflicht für alle Flüchtlinge, die eine Ausbildung machen möchten. Dabei
durchläuft jeder die verschiedenen Abteilungen, und alle lernen sich gegenseitig kennen.“ Die Geflüchteten finden in dieser Zeit heraus, welcher Bereich für sie in Frage kommt, und erfahren, welche Aufgaben sie haben werden. „Dabei hat sich gezeigt, dass sich durch die praktischen Erfahrungen häufig die ursprünglichen Berufswünsche ändern.“ Zugleich gibt das Praktikum dem Unternehmen die Möglichkeit festzustellen, welche Fähigkeiten der potenzielle Azubi mitbringt, ob er motiviert ist und ob die Grundeinstellung stimmt. So haben bei Kaeser im ersten Jahr 70 Flüchtlinge ein Praktikum absolviert, aus diesem Kreis konnten alle neuen Ausbildungsplätze besetzt werden – 21 Migranten im Alter zwischen 16 und 44 Jahren konnten schließlich Ausbildungen in den Bereichen Maschinenanlagenführer, Industrieelektriker und Fachlagerist beginnen.

Wohnsituation

Viele von ihnen leben mittlerweile gemeinsam in einer ehemaligen Jugendherberge. „Einige sind ohne ihre Familien hier, haben vorher in Sammelunterkünften gelebt. Das ist nicht immer ideal für Azubis“, hat der Ausbildungsleiter schnell festgestellt. „Wenn die anderen Mitbewohner in einer Sammelunterkunft nicht arbeiten, dann wird es schwierig für Auszubildende, Ruhe zum Lernen zu finden.“ Kaeser macht seinen Azubis aus dem Ausland deshalb ein besonderes Angebot: Sie können in einem unternehmenseigenen Wohnheim leben – in Wohngemeinschaften in einer umgebauten Jugendherberge, in der sie sich gegenseitig unterstützen und motivieren. „Das läuft – abgesehen von allen normalen WG-Problemen – recht gut.“ Vor allem auch, weil Kaeser einen Sozialpädagogen eingestellt hat, der für die Flüchtlinge zuständig ist. Er ist regelmäßig in der Unterkunft präsent, kümmert sich auch um Behördengänge, organisiert gemeinsame Freizeitaktionen und vermittelt bei Problemen.

Überwiegend gute Erfahrungen

„Ja, es ist viel Aufwand, aber es lohnt sich“, sagt Rüdiger Hopf heute. „Wir haben es geschafft, 21 neue Fachkräfte zu gewinnen – und 21 jungen Menschen Hoffnung und eine Zukunft zu geben.“ Kulturelle Schwierigkeiten habe es deutlich weniger gegeben, als manche Mitarbeiter ursprünglich befürchtet hatten. So haben die Azubis schnell gelernt, dass 15 Uhr im Betrieb tatsächlich 15 Uhr bedeutet, und wie die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen funktioniert. „Kaum einer unserer muslimischen Azubis braucht regelmäßig Pausen zum Beten. Sie haben nur mal um einen Tag Urlaub zum Ende des Ramadan gebeten, auf so etwas können wir uns natürlich gut einlassen.“ Und so geht die Aufnahme von jungen Flüchtlingen bei Kaeser nahtlos weiter: Insgesamt sind es mittlerweile 46, in diesem Jahr werden noch einmal 20 hinzukommen.

Fazit

Wer Flüchtlinge als Auszubildende einstellen möchte, muss das gut vorbereiten – guter Wille allein genügt nicht. So sind Formalitäten mit Behörden zu klären, Deutschkenntnisse unbedingt zu beachten und sowohl Unternehmen als auch Flüchtlinge müssen gut auf die Zusammenarbeit vorbereitet werden. Dann jedoch bieten sich große Chancen für beide Seiten: für die Flüchtlinge auf eine aussichtsreiche Zukunft, für das Unternehmen auf neue Fachkräfte.

Tipps:

  • Führungskräfte und Ausbilder: frühzeitig einbeziehen und interkulturell schulen
  • Ansprechpartner: Agentur für Arbeit, IHK, Integrationsklassen von Mittel- und Berufsschulen
  • Aufenthaltsstatus und Arbeitsgenehmigung: mit der Behörde klären, rechtzeitig Verlängerung beantragen
  • Deutschkenntnisse: mindestens Sprachlevel B1, kontinuierlich weitere Sprachkurse
  • Ausbildungsberuf: durch Praktikum Kenntnisse und Interessen klären
  • Wohnsituation: möglichst auf eine ruhige Lernumgebung achten

Quelle: wirAUSBILDER Magazin, Heft 4 2018, S. 17-19.

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