Standards helfen gegen Vorbehalte bei modularer Ausbildung
In Bayern und Baden-Württemberg ist die modulare Ausbildung, auch Teilqualifizierung (TQ), ein erfolgreiches Modell zur Fachkräftesicherung geworden. Mittlerweile denkt man über eine Neuordnung und die Einführung von Standards nach, um Wildwuchs und den damit verbundenen Vorbehalten entgegenzutreten.
“Wildwuchs” fördert “Fantasie-Zertifikate”
Der “Wildwuchs” wird deutlich, wenn man sich die Fülle der Angebote auf der Onlineplattform “Kursnet” der Bundesagentur für Arbeit (BA) anschaut: Dort gibt es 540 Bildungsträger, die 20.154 Teilqualifikationen anbieten, 217 davon im IT-Bereich. Bei vielen handelt es sich leider um “Fantasie-Zertifikate”, ohne Wert für die Arbeitgeber, so Christian Rauch, Chef der BA-Regionaldirektion Baden-Württemberg.
“Etapp” soll Neuordnung fördern
Trotzdem ist das Modell im Süden Deutschlands erfolgreich, es müsse jetzt nur neu geordnet werden, so Rauch, schon allein wegen der Digitalisierung herrsche große Nachfrage, aber auch oft Verwirrung. Aus diesem Grund haben sich die Bildungswerke der Wirtschaft und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zusammengeschlossen und das Projekt “Etablierung eines Teilqualifizierungsstandards für an- und ungelernte Erwachsene über 25 Jahre unter praxisrelevanten und pädagogischen Anforderungen”, kurz “Etapp“, gegründet.
Standards für fünf Berufe
“Etapp” hat als Zielgruppe 2,1 Millionen junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren ohne formalen Berufsabschluss. Zusätzlich richtet man sich an Flüchtlinge, für die TQs ein elementarer Bestandteil für die Integration sind. Für fünf Berufe, Systemgastronom, Fachlagerist, Lagerlogistiker, E-Commerce-Kaufleute und Mechatroniker, hat man Standards entwickelt, in denen der Inhalt der Ausbildung in fünf bis sieben Teile zerlegt werden kann. Weitere Berufe sollen folgen.
Immer noch Skepsis bei der “TQ”
In 2019 absolvierten laut BA etwa 11.000 Arbeitslose eine TQ – um das System in die Breite zu bringen, ist allerdings noch viel Überzeugungsarbeit notwendig: Handwerk und DIHK sind skeptisch, dass die TQ die Ausbildung als solche entwertet. Die Gewerkschaften fürchten die “Lehre light” mit Niedriglohngruppen. Zudem wirft man der BA Sparabsichten vor, da eine TQ deutlich günstiger sei als eine zweijährige Umschulung.
Probleme werden “praktischer”
Doch die Vorbehalte werden weniger: Die DIHK hat mit “Chancen nutzen” mittlerweile ein eigenes Projekt, welches wie Etapp vom Bundesbildungsministerium gefördert wird. Die IHK Stuttgart bietet erste, eigene Angebote an, eine Förderung im Metallbereich bekam sogar eine Grundlage im Tarifvertrag. Die Probleme sind jetzt praktischer: Eine Finanzierung von der BA erfolgt erst ab einer Gruppe von mindestens 15 Personen, das sei für Betriebe z. B. auf dem Land schwer zu realisieren. Hat jemand alle Teile erfolgreich absolviert, wird die Zulassung zur externen Gesellenprüfung bei den Kammern schwierig: Laut Gesetz müssen Teilnehmer mindestens das Eineinhalbfache der Ausbildungszeit im Beruf tätig gewesen sein. Für viele zu lang, da die TQs komprimiert vermittelt werden und es viele Quereinsteiger gibt.
Und auch das Handwerk ist angesichts des Fachkräftemangels nachdenklich geworden, bleibt aber skeptisch: Ziel muss weiterhin eine breit angelegt Ausbildung sein, denn das Risiko eines falsch gedeckten Daches oder einer mangelhaft reparierten Heizung sei zu groß. Dennoch könne eine TQ helfen, z. B. einen in die Jahre gekommenen Gesellenbrief auf Stand zu bringen, insbesondere bei Digitalisierungsthemen.
Quelle: handelsblatt.com vom 28.01.2020.