Warum eine Verkürzung der Ausbildung nicht immer sinnvoll ist
Eine der häufigsten Fragen, die Bewerber:innen stellen, ist die Frage nach einer möglichen Verkürzung der Ausbildungszeit. Janina Hofmann stellt seit 2015 neue Auszubildende für die Alnatura-Zentrale ein und berichtet, warum eine Verkürzung der Ausbildung nicht immer sinnvoll ist.
Bieten Sie grundsätzlich keine Möglichkeit zur Verkürzung der Ausbildungszeit an?
In unseren Stellenanzeigen erwähnen wir die Möglichkeit der Verkürzung nicht. Die Bewerber:innen sprechen das Thema also von sich aus an. Grundsätzlich können wir eine Verkürzung anbieten. Ich halte jedoch so viel mehr von einer dreijährigen Ausbildung. Warum, möchte ich Ihnen anhand von zwei Beispielen aufzeigen:
Max ist Auszubildender in der Zentrale von Alnatura und absolviert innerhalb von drei Jahren seine Ausbildung. Er hat sich von Anfang an für den Bereich Einkauf interessiert und möchte dort nach seiner Ausbildung übernommen werden. Alle vier Monate wechselt er während seiner Ausbildung den Bereich und lernt so unterschiedliche Abteilungen kennen – mit jedem Wechsel sammelt er neue Erfahrungen. In den Mittagspausen lernt er seine Kolleg:innen gut kennen. Er besucht viele Seminare und übernimmt auch verschiedene Auszubildendenprojekte. Ein Jahr vor Ende der Ausbildung führt Max mit seiner Ausbilderin ein Gespräch, in dem es um die Übernahme geht. Mittlerweile hat er nicht nur den Einkauf, sondern auch die Personalabteilung, die Kommunikation und die Logistik kennengelernt. In der Kommunikation hat es Max am besten gefallen. Er möchte dort auch übernommen werden.
Eva ist Auszubildende und absolviert ihre Ausbildung innerhalb von nur zwei Jahren. Sie wechselt alle zwei bis drei Monate den Bereich. Im ersten Ausbildungsjahr hat sie nicht nur ein Marktpraktikum absolviert, sondern auch fünf Abteilungen kennengelernt. Um alle Inhalte im Unternehmen schneller zu lernen, kratzt sie die Themen nur oberflächlich an. Für Kaffee-Pausen und kurze Austausch-Termine mit den Kolleg:innen hat sie weniger Zeit. An Seminaren nimmt sie zwar teil, muss aber im Anschluss wieder mehr aufholen. In der Berufsschule ist sie in einer „Verkürzer-Klasse“. Innerhalb von eineinhalb bis zwei Jahren nimmt sie dort alle Themen durch, um auf die Prüfung gut vorbereitet zu sein. Das Tempo ist anspruchsvoll. Längere Abwesenheiten durch Seminare oder Krankheit kann sie sich eigentlich nicht erlauben. Auch für Projekte bleibt ihr kaum Zeit. Nach dem ersten Ausbildungsjahr führt Eva ein Gespräch mit ihrer Ausbilderin. Diese fragt sie, wo sie denn nach einem Jahr übernommen werden will. Eva ist etwas ratlos. Sie hat zwar sehr viele Abteilungen gesehen, hatte aber bei keiner einen tieferen Einblick oder kaum Zeit, mit den Kolleg:innen in einen Austausch zu gehen.
Na, haben Sie auch etwas Stress verspürt beim Lesen des zweiten Beispiels? Die Beispiele sind natürlich sehr überspitzt von mir dargestellt worden.
Was ist die Motivation der Bewerber:innen, die Ausbildungszeit zu verkürzen?
Ich frage mich seit sechs Jahren, wieso die Bewerber:innen so „auf die Tube drücken“ wollen. Auf Nachfrage antworten Bewerber:innen zum Beispiel: „Ich habe mir eigentlich keine Gedanken gemacht. Ich weiß nur, dass man mit dem Abi die Ausbildung verkürzen kann.“ Oder „Ich möchte gerne schneller durch sein.“
Interessanterweise habe ich bis jetzt noch nicht gehört, welche Motivation die Bewerber:innen haben, um eine Ausbildung schnellstmöglich durchzuziehen.
Was sagen Ihre ehemaligen Auszubildenden, war es rückblickend eine gute Entscheidung, die Ausbildung nicht zu verkürzen?
Wenn ich meine ehemaligen Auszubildenden spreche, dann schwärmen sie von der Ausbildungszeit. Für viele war es die beste Zeit gewesen und sie raten allen neuen Auszubildenden, die Zeit zu genießen. Einige bleiben auch weiter am Thema Ausbildung dran, werden entweder selbst Ausbilder:innen/Ausbildungsbeauftragte oder nehmen auch gerne Einladungen zu unserem Sommerfest der Absolvent:innen an, um in Kontakt zu bleiben.
Woher kommt dieser Druck, die Ausbildung möglichst schnell durchzuziehen?
Ich kann nur mutmaßen, woher er kommt. Einerseits legen viele Unternehmen vermutlich darauf wert, dass Auszubildende mit entsprechenden Voraussetzungen eine zweijährige Ausbildung durchlaufen, damit sie schneller als Mitarbeiter:in zur Verfügung stehen. Andererseits gibt es vielleicht auch einige Eltern, die für ihre Schützlinge lieber ein Studium vorziehen würden und eine zweijährige Ausbildung ein Kompromiss wäre.
Was sagen denn eigentlich die Bewerber:innen, denen Sie Ihre Beweggründe mitteilen?
Sie sind total überrascht: „Das hat mir bisher noch kein Unternehmen so erklärt!“ oder „Das kann ich jetzt verstehen, wenn Sie das so erzählen.“ Es hat sich bisher niemand für eine Verkürzung entschieden.
Ich habe bis jetzt 32 Auszubildende eingestellt. Sie sind alle froh, dass sie für ihre Entwicklung und zum Lernen genug Zeit haben und langsam auf den Berufseinstieg vorbereitet werden.
Janina Hofmann ist seit 2016 Referentin Ausbildung und Studium bei Alnatura. Sie betreut aktuell 19 Auszubildende und 18 dual Studierende und ist als Ausbilderin in den Ausbildungsberufen Kaufmann/-frau für Büromanagement und Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandelsmanagement tätig. Zudem betreut sie alle Lernenden in der Zentrale: Fachinformatiker/-in mit Systemintegration. Studiengänge: BWL Wirtschaft neu denken, BWL-Food Management, BWL-Fashion Management, Informatik.
Alnatura Produktions- und Handels GmbH
Tipp: Lesen Sie auch Teilzeitausbildung anbieten – rechtliche Vorschriften. von Rechtsanwältin Dr. Carmen Hergenröder.
Netzwerktreffen: wirAusbilder DIALOG LIVE
Weitere Informationen zur Teilzeitausbildung sowie einen Austausch mit Ausbilder:innen verschiedener Unternehmen und Branchen erwartet Sie am 30.09.2021:
Das virtuelle Netzwerktreffen wirAusbilder DIALOG LIVE zum Thema “Die Reform des BBiG: Welche Neuerungen sind zu beachten?” findet am 30.09.2021 statt. Hier finden Sie weitere Infos dazu.